Interview

Ob als Telefoninterview oder als Einstellungsinterview im Assessment Center, das Interview ist ein Teil der meisten Auswahlprozesse. In strukturierter Form stellt es eine sinnvolle Ergänzung des Auswahlprozesses dar (Ziegler, Dietl, Danay, Vogel & Bühner, 2011). Die Voraussagekraft von Interviews für berufliche Leistung wurde schon in verschiedenen Studien nachgewiesen, doch die Voraussagekraft hängt stark von dem Strukturierungsgrad des Interviews ab (Huffcutt, Culbertson & Weyhrauch, 2014; Schmidt & Hunter, 1998). Im Folgenden werden einige Unterschiede zwischen hoch- und geringstrukturierten Interviews aufgezeigt. Diese Formen unterscheiden sich im Ausmaß der Standardisierung. Eine hohe Standardisierung ermöglicht die Vergleichbarkeit der Leistung der Bewerbenden und minimiert den Spielraum für systematische Fehler in der Personenbeurteilung. (Kanning, 2019)

Hochstrukturiertes Interview

  • Den Bewerbenden werden die gleichen Fragen gestellt
  • Die Reihenfolge der Fragen ist festgelegt
  • Nachfragen wird vermieden
  • Bewertung der Antworten anhand klarer Kriterien
  • Jede Anforderungsdimension wird mehrfach überprüft
  • Mehrere Personen bewerten die Antworten

Geringstrukturiertes Interview

  • Die Fragen variieren zwischen den Bewerbenden
  • Das Thema wird frei besprochen
  • Keine verbindlichen Bewertungskriterien
  • Anforderungsdimensionen werden nicht beachtet
  • Freie Gesprächsteile werden beurteilt

(Kanning, 2019)

Beispiel : hochstrukturiertes Interview

Das Ziel unseres Interviews ist es, ausgewählte Merkmale des Anforderungsprofils zu messen. Nehmen wir in unserem Beispiel an, die Merkmale für eine zu besetzende Stelle sind Intelligenz, Flexibilität, Gewissenhaftigkeit, Kundenorientierung und Belastbarkeit. Da wir die Intelligenz mit einem Leistungstest messen, möchten wir in dem Interview die restlichen vier Merkmale überprüfen.

In einem hochstrukturierten Interview wird ein Interviewleitfaden verwendet, der die Fragen, deren Reihenfolge und die Bewertungsskala festlegt. Neben den zu bewertenden Fragen können auch freie Gesprächsteile, wie die Begrüßung oder Verabschiedung eingebaut werden, die nicht in die Bewertung einfließen. Der Grund hierfür ist, dass ein freier Gesprächsteil keine Vergleichbarkeit zwischen den Bewerbenden ermöglicht und Merkmale beachtet werden könnten, die für die Stelle unrelevant sind. Wir bewerten also die Merkmale Flexibilität, Gewissenhaftigkeit, Kundenorientierung und Belastbarkeit anhand von Fragen. Dabei sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass wir ein Merkmal mit einer einzelnen Frage genau messen können. Deshalb sollte jedes Merkmal anhand von mindestens drei Fragen überprüft werden. Eine Frage kann allerdings zur Messung von mehr als einer Merkmalsdimension genutzt werden. So erfasst Frage 2 die Merkmale Gewissenhaftigkeit und Kundenorientierung. Mehr als drei Merkmale sollten nicht mit einer einzelnen Frage erfasst werden, da die Bewertung für die Beobachtenden dann schwieriger wird. In unserem Beispiel messen wir die vier Dimensionen mit acht Fragen.

Erfassung der Merkmale durch die Fragen im Interview

Formulierung der Fragen

Die Fragen im Interview müssen so formuliert sein, dass mit ihnen mindestens ein Merkmal überprüft werden kann. Fragen können beispielsweise den Umgang mit einer fiktiven Situation überprüfen, die im Berufsalltag tatsächlich auftreten könnte (situative Frage) oder die Handhabung einer realen Situation in der Vergangenheit der befragten Person muss beschrieben werden (biografische Frage). Wenn Sie im Rahmen der Anforderungsanalyse Befragungen durchgeführt haben, können Sie oft auf beschriebene kritische Situationen zurückgreifen. In unserem Beispiel für Frage 1 wurde eine situative Frage für das Merkmal Flexibilität konstruiert. 
Beispielfrage für eine situative Frage mit einer verankerten Beurteilungsskala für das Merkmal Flexibilität

Bewertung der Antworten

Wie in dem Beispiel zu sehen ist, wird die Antwort der Frage auf einer 5-stufigen Skala bewertet. Dabei ist 1 die schlechteste und 5 die beste Antwort. Unsere Skala wurde an konkrete Kriterien geknüpft, die in einer Antwort enthalten sein müssen, um einen Punktwert zu erreichen. Eine solche verhaltensverankerte Bewertungsskala ermöglicht den Bewertenden den selben Maßstab bei jeder Bewertung anzulegen. Zudem sollten möglichst zwei oder mehr Beobachtende eingesetzt werden, damit sich systematische Fehler im Mittelwert ausgleichen. 

Zu jeder Skala muss ein Cutt-Off definiert werden. Das heißt, dass der Wert des Merkmals Flexibilität, der mit den Fragen 1, 4 und 5 gemessen wird, im Durchschnitt beispielsweise bei einer 3 oder besser liegen muss, um für die Stelle geeignet zu sein. Dieser Cutt-Off kann für jedes Merkmal nach der Wichtigkeit des Merkmals frei gewählt werden oder der Cutt-Off liegt immer bei 3  und die Kriterien werden so formuliert, dass immer mit einer 3 die Mindestanforderungen erfüllt werden. Angenommen unser Cutt-Off würde immer bei einer 3 liegen müsste eine sich bewerbende Person im Mittelwert über die verschiedenen Fragen und Beobachtenden hinweg für die Dimensionen Flexibilität, Gewissenhaftigkeit, Kundenorientierung und Belastbarkeit jeweils mindestens eine 3 erreichen, um für die Stelle geeignet zu sein. Wurden mehrere Bewerbende bewertet, kann die Person mit den höchsten Punktwerten eingestellt werden.

Schulung der Beobachtenden und Interviewenden

Alle Beobachtenden und Interviewenden sollten im Umgang mit dem Interviewleitfaden geschult werden.  Auch psychologisches Fachwissen über Urteilsfehler ist für die Durchführung und Beurteilung von Vorteil. Eine Möglichkeit ist die unternehmensinterne Schulung durch Mitarbeitende mit geeigneter Qualifizierung. Die Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen ermöglicht den Erwerb von Personenlizenzen für Eignungsdiagnostiker(innen) und Beobachter(innen) nach DIN 33430 (Kersting & Püttner, 2018).  Auch wenn eine solche Lizenz nicht zwingend notwendig ist, führt das erlangte Wissen sicherlich zu aus eignungsdiagnostischer Sicht besseren Interviews.

 

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Literatur

Huffcutt, A. I., Culbertson, S. S. & Weyhrauch, W. S. (2014). Moving Forward Indirectly: Reanalyzing the validity of employment interviews with indirect range restriction methodology. International Journal of Selection and Assessment, 22(3), 297–309. https://doi.org/10.1111/ijsa.12078

Kanning, U. P. (2019). Standards der Personaldiagnostik. Personalauswahl professionell gestalten (2., überarbeitete und erweiterte Auflage). Göttingen: Hogrefe.

Kersting, M. & Püttner, I. (2018). Einführung in die DIN 33430. In Diagnostik- und Testkuratorium (Hrsg.), Personalauswahl kompetent gestalten (S. 1–26). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

Schmidt, F. L. & Hunter, J. E. (1998). The validity and utility of selection methods in personnel psychology: Practical and theoretical implications of 85 years of research findings. Psychological Bulletin, 124(2), 262–274. https://doi.org/10.1037/0033-2909.124.2.262

Ziegler, M., Dietl, E., Danay, E., Vogel, M. & Bühner, M. (2011). Predicting Training Success with General Mental Ability, Specific Ability Tests, and (Un)Structured Interviews: A meta-analysis with unique samples. International Journal of Selection and Assessment, 19(2), 170–182. https://doi.org/10.1111/j.1468-2389.2011.00544.x

 

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