Bewerbungsunterlagen sichten

Die Sichtung der Bewerbungsunterlagen zur Vorauswahl von Bewerbenden lässt sich so gestalten, dass eine gute Voraussage der beruflichen Leistung möglich ist. Dafür muss nicht einmal mehr Zeit in die Sichtung investiert werden. Es ist wichtig, eindeutige Kriterien zu definieren, die sich an den Inhalten des Anforderungsprofils orientieren. Bei der Sichtung der Unterlagen werden nur diese Kriterien bewertet und die restlichen Informationen werden bewusst ignoriert. So ist es häufig auch möglich auf das Anschreiben gänzlich zu verzichten.

Welche Informationen stecken im Lebenslauf?

Hochschul- und Schulnoten

Schulnoten sind ein guter Indikator für die Intelligenz und Gewissenhaftigkeit einer Person (Roth et al., 2015; Steinmayr & Spinath, 2007). Beide Merkmale sagen laut Metaanalysen berufliche Leistung voraus (Almlund et al., 2011). Bei Stellenbesetzungen ist immer die Durchschnittsnote heranzuziehen, da diese in der Regel aussagekräftiger ist als Einzelnoten. Allerdings gibt es ein großes Problem bei der Interpretation von Schul- und Hochschulnoten. Durch das fehlende Bezugssystem lassen sich die Noten nur schwer vergleichen. Ein Abiturschnitt in einem Bundesland ist nicht unbedingt gleichwertig zu einem Abiturschnitt in einem anderen Bundesland. (Kanning, 2019; Schmidt-Atzert, Krumm & Kersting, 2018) Auch die Benotung in verschiedenen Studiengängen und an unterschiedlichen Hochschulen unterscheidet sich teils stark. So ist die Durchschnittsnote in Deutschland im Studiengang Physik eine 1,49, im Studiengang Pädagogik eine 1,83 und im Studiengang Jura eine 2,76. (Kanning, 2019) Deshalb kommt Mitarbeitenden in der Personaldiagnostik die Aufgabe zu, sich über Notenunterschiede und die Entwicklung der Notenvergabe über die Zeit hinweg zu informieren. Einen Vergleich von Hochschulabschlüssen mit sehr geringem Aufwand ermöglicht das Start-Up CASE. Das Unternehmen, das auch an auswahlverfahren.info mitarbeitet, nutzt große Datensätze, um Abschlüsse fair zu vergleichen und schafft so ein einheitliches Bezugssystem. CASE veröffentlicht viele Studien, mit denen sich die sehr gute Voraussagekraft des Verfahrens einschätzen lässt.

Berufserfahrung

Die Berufserfahrung hängt positiv mit beruflicher Leistung zusammen. Allerdings sollte der Berufserfahrung gemessen in Jahren keine zu hohe Bedeutung beigemessen werden. Eine bessere Voraussagekraft bietet die Vielfalt der im Beruf gesammelten Erfahrungen, also beispielsweise die Anzahl verschiedener Jobs, die eine Person inne hatte. (Quinones, Ford & Teachout, 1995) Diese Ergebnisse scheinen plausibel, da davon auszugehen ist, dass eine Person, die 20 Jahre die gleiche berufliche Aufgabe erledigt hat, weniger Erfahrungen sammeln konnte als eine Person, die in dieser Zeit verschiedene Aufgaben in verschiedenen Positionen ausführte. Auch das berufsbezogene Wissen ist ein guter Prädiktor für die berufliche Leistung (Schmidt & Hunter, 1998), weshalb davon auszugehen ist, dass eine Person, die über berufsbezogenes Wissen verfügt, eine bessere berufliche Leistung erbringen wird als eine Person, die dieses Wissen nicht mitbringt.

Lücken im Lebenslauf

Lücken im Lebenslauf sagen in den meisten Fällen nichts über die Persönlichkeit eines Menschen aus. Es lohnt sich jedoch darauf zu achten, aus welchem Grund eine Lücke entstanden ist. Lücken, die durch Wartezeiten, Arbeitslosigkeit und Krankheit entstanden sind, erlauben kaum einen Rückschluss auf die Persönlichkeit von Bewerbenden. Ist die Lücke hingegen durch eine abgebrochene Ausbildung entstanden, kann die Lücke ein Indikator dafür sein, dass eine Person eine leicht geringere Ausprägung von Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit aufweist. Lücken, die durch Reisen entstanden sind, deuten auf eine geringere Selbstkontrolle hin, doch auch dieser Zusammenhang ist so klein, dass er zu vernachlässigen ist. (Frank, Wach & Kanning, 2014) Aus diesem Grund sollten Lücken im Lebenslauf weitaus weniger Beachtung in der Personalauswahl finden als dies derzeit der Fall ist. Falls die Lücken beachtet werden, sollte der Grund für eine Lücke den Ausschlag geben, ob diese negativ zu bewerten ist.

Interessen, sportliche Aktivitäten und soziales Engagement

Es scheint plausibel von Interessen, sportlichen Aktivitäten oder sozialem Engagement auf bestimmte Persönlichkeitseigenschaften oder sogar auf berufliche Leistung zu schließen. Die Forschung unterstützt diese Überlegung hingegen nicht. Bereits Schmidt und Hunter (1998) zeigten, dass Interessen nur um .10 mit beruflicher Leistung korrelieren. Dieser Wert ist so klein, dass er in der Personalauswahl vernachlässigt werden kann. (Gahlmann & Kanning (2017) fanden nahezu keine Unterschiede zwischen Sportler*innen und Nicht-Sportler*innen sowie zwischen Individual- und Mannschaftssportler*innen hinsichtlich der Leistungsmotivation. Aus der Forschung gibt es zum Teil auch die Empfehlung, soziales Engagement nicht zu betrachten. Bisher gibt es nicht genügend Forschungsergebnisse, um Rückschlüsse von spezifischen Betätigungsfeldern des sozialen Engagements auf die soziale Kompetenz zu ziehen (Kanning, 2019). 

Ist das Anschreiben noch zeitgemäß?

Die Antwort auf diese Frage lässt sich schnell finden, denn vieles spricht gegen die Berücksichtigung des Anschreibens im Bewerbungsprozess. Wenn man davon ausgeht, dass in der Unterlagensichtung nur die zuvor definierten Kriterien betrachtet werden, liefert das Anschreiben selten wichtige Informationen, die der Lebenslauf nicht hergibt. Zudem formuliert die Mehrheit der Bewerbenden ihr Anschreiben nicht selbst, sondern passt nur noch Vorlagen geringfügig an (Kanning, Budde & Hülskötter, 2018). Kanning (2019) merkt außerdem an, dass das Anschreiben als eine Quelle systematischer Urteilsverzerrung anzusehen ist. Letztlich kann im Recruitingprozess Zeit gespart werden, indem das Anschreiben gar nicht erst angefordert und gelesen wird. Es ist folglich eindeutig, dass das Anschreiben nicht mehr zeitgemäß ist. 

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Literatur

Almlund, M., Duckworth, A. L., Heckman, J. & Kautz, T. (2011). Chapter 1 – Personality Psychology and Economics. In E. A. Hanushek, S. Machin & L. Woessmann (Hrsg.), Handbook of the Economics of Education (Bd. 4, S. 1–181). Elsevier. https://doi.org/10.1016/B978-0-444-53444-6.00001-8

Frank, F., Wach, D. & Kanning, U. P. (2017). Zusammenhang zwischen Lücken im Lebenslauf und Berufserfolg. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie A&O, 61(2), 69–80. https://doi.org/10.1026/0932-4089/a000237 

Gahlmann, S. & Kanning, U. P. (2017). Sichtung von Bewerbungsunterlagen – Sind sportliche Aktivitäten ein Indikator beruflicher Leistungsmotivation? Journal of Business and
Media Psychology, 8, 10-19.

Kanning, U. P. (2019). Standards der Personaldiagnostik. Personalauswahl professionell gestalten (2., überarbeitete und erweiterte Auflage). Göttingen: Hogrefe.

Kanning, U. P., Budde, L. & Hülskötter, M. (2018). Wie valide ist die regelkonforme Gestaltung von Bewerbungsuntelagen? Personal quarterly, (70 (4)), 38–45. Verfügbar unter http://www.haufe.de/personal/z.88954.html

Quinones, M. A., Ford, J. K. & Teachout, M. S. (1995). The relationship between work experience and job performance: A conceptual and meta-analytic review. Personnel Psychology, 48,
887–910. http://doi.org/10.1111/j.1744-6570.1995.tb01785.x 

Roth, B., Becker, N., Romeyke, S., Schäfer, S., Domnick, F. & Spinath, F. M. (2015). Intelligence and school grades: A meta-analysis. Intelligence, 53, 118–137. https://doi.org/10.1016/j.intell.2015.09.002

Schmidt, F. L. & Hunter, J. E. (1998). The validity and utility of selection methods in personnel psychology: Practical and theoretical implications of 85 years of research findings. Psychological Bulletin, 124(2), 262–274. https://doi.org/10.1037/0033-2909.124.2.262

Schmidt-Atzert, L., Krumm, S. & Kersting, M. (2018). Evaluation der Eignungsbeurteilung. In Diagnostik- und Testkuratorium (Hrsg.), Personalauswahl kompetent gestalten (S. 189–222). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

Steinmayr, R. & Spinath, B. (2007). Predicting School Achievement from Motivation and Personality. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 21(3/4), 207–216. https://doi.org/10.1024/1010-0652.21.3.207

 

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